Gemeinsamkeiten: Warum sich Japaner in England so wohl fühlen

Millennium Bridge London

Sie fahren auf der linken Straßenseite, mögen Tee, sind sehr respektvoll, höflich und zuvorkommend, doch distanziert. Die Briten und die Japaner haben einiges gemein. Kein Wunder also, dass sich vor allem die Japaner in Großbritannien besonders wohl zu fühlen scheinen. Dass sich die britische und die japanische Kultur in manchen Hinsichten ähneln, hatte ich schon vorher gehört. Seitdem ich nun aber selbst seit drei Monaten in England lebe, weiß ich, dass die Gemeinsamkeiten der zwei Inselnationen weit über einfache Verhaltensregeln hinausgehenden.

Eines vorweg: Ich war selbst noch nicht in Japan. Doch gefühlt mein halber Bekanntenkreis wurde schon von der japanischen Kultur in den Bann gezogen und hat die pazifischen Inseln besucht. Seitdem ich nach England gezogen bin, besuche ich japanische Sprachkurse. Durch meinen engen Kontakt mit der hier lebenden japanischen Gemeinschaft bin ich in einen sehr interessanten Austausch gekommen.

„Ich wohne und arbeite hier seit 15 Jahren“, stellte sich mir Hiro, ein Japaner in der Mitte seiner 40er Jahre in meiner zweiten Japanischstunde vor. „Und ich liebe, wie viel wir Japaner mit den Engländern gemeinsam haben.“

„Ich habe einen Kulturschock erwartet“

Hiro arbeitet in der japanischen Ernährungsindustrie. Er lebt in Lincoln (UK), um japanisches Essen auf dem britischen Markt zu etablieren und seinen japanischen Kollegen britische Delikatessen-Empfehlungen zu unterbreiten.

Er verbindet beide Kulturen auf der kulinarischen Ebene. „Nach England zu ziehen, war für mich wie in eine zweite Heimat zu kommen. Die Mentalität der Menschen, das Arbeitsklima, der Respekt und die Distanz – es ist alles sehr ähnlich und das, obwohl ich einen Kulturschock erwartete.“

Japanurlaub planen

Japanurlaub planen

So wie sich Hiros Erwartungen Großbritannien gegenüber positiverweise nicht erfüllt haben, geht es vielen Briten, wenn sie nach Japan reisen. Denn viele der englischen Reiseführer über Japan sind aus einer amerikanischen oder sehr westlichen Perspektive geschrieben. Sie kreieren ein verhaltenes und etwas verklärtes Bild vom Land.

Für Amerikaner ist es beispielsweise normal, überall mit dem Auto hinzufahren. Schnell wachsende Städte ohne wirkliches Stadtzentrum sind Alltagsphänomene. Menschen hingegen, die nicht lauthals ihren freudigen Gemütszustand mit dem halben Einkaufszentrum teilen und sich nicht permanent auslassen, wie „awesome“ doch alles ist, sind komisch.

(Die Japaner lieben natürlich auch ihre Autos.)

Gemeinsamkeiten: Anstand und Bescheidenheit

Japaner wissen durchaus, ihre Freude kund zu tun. Nur drücken sie es eher durch Respekt und Würdigung als durch Freudentänze aus. Anstand und Bescheidenheit stehen zusammen mit Respekt und Höflichkeit ganz oben auf der japanischen Tagesordnung, wie auch auf der britischen. Respekt, der den Amerikanern oder Zentraleuropäern schon fast als zurückhaltend und reserviert erscheint.

Hilfsbereitschaft

Hilfsbereitschaft

Wer sich beide Kulturen genau anschaut, entdeckt viele Gemeinsamkeiten im Alltag. Man trinkt gerne in Gesellschaft Bier oder Sake. Niemand beschwert sich, auch wenn es angebracht wäre und die Fähigkeit, seine Wut unterdücken zu können, vor allem in der Öffentlichkeit oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, ist hoch angesehen.

Generell gehen beide Nationen Konflikten so gut wie möglich aus dem Weg. Tritt dir jemand auf dem Fuß oder rempelt dich auf der Straße an, entschuldigen sich beide Parteien und die Sache ist aus der Welt.

Die Sprache spiegelt gegenseitige Faszination wieder

So gut beide Länder die Formeln der Höflichkeit auch beherrschen, gehören Fremdsprachen nicht zu ihren Stärken. Briten und Japanern fällt es gleichermaßen schwer, fremde Sprachen zu meistern. Möge es an der Aussprache oder am Alphabet legen.

Dennoch finden sich in den Muttersprachen alltägliche Elemente der jeweilig anderen Sprache wieder. Alle Briten kennen und nutzen Worte wie Bonsai, Judo, Karaoke, Cosplay, Karate, Sushi, Zen oder Otaku in ihrem geläufigen Sprachgebrauch.

Japan

Japan

Umgekehrt antworten die Japaner mit okeh (okay), sutoppu (stop), Konpyuta (Computer), naisu (nice) oder biiru (beer). Alle Fremdworte werden in der japanischen Silbenschrift Katakana verfasst, sodass sie von den einheimischen Worten, welche in Hiragana geschrieben werden, unterschieden werden können.

Die Geschichte zweier Inselnationen

Londoner und Tokyaner haben vor allem eins gemein: Züge und die Metro sind schweigsam während der rush hour. Sie sind distanziert gegenüber Fremden und meiden Einkäufer im Supermarkt, die Regale versperren oder Produkte fixieren, die sie eigentlich bräuchten.

Außerdem stehen beide Inselnationen in einer Hass-Liebe mit dem Rest ihrer Kontinente. Als Inselnationen haben sich beide Länder etwas abgeschottet und unabhängig vom Festland entwickelt und blicken auf lange und stolze Traditionen und eine einfluss- und leidensreiche Geschichte seit Menschengedenken zurück.

Ein Überbleibsel beider Geschichten ist die Monarchie, die inzwischen mehr der Show als dem Machtgefüge dient, aber als Symbol der Geschichte, Kultur und Identifikation aufrechterhalten wird.

Monarchie und Nationalstolz als Gemeinsamkeit

Japan und Großbritannien besitzen beide die konstitutionelle Monarchie. Das heißt, in Japan sowie im United Kingdom muss der Monarch formal jedem Parlamentsbeschluss zustimmen, bevor dieser in Kraft treten kann. Die Zustimmung des Monarchen ist also der letzte Schritt, um ein neues Gesetz zu verabschieden.

Was die britische konstitutionelle Monarchie von der Japanischen unterscheidet ist, dass der britische Monarch rein theoretisch immer noch die Kraft besitzt, Beschlüsse von der gewählten Regierung abzulehnen.

United Kingdom

United Kingdom

Rein praktisch ist das die letzten 312 Jahre nicht mehr passiert. Wohingegen der japanische Monarch verfassungsmäßig daran gebunden ist, allen Entscheidungen der gewählten Regierung zuzustimmen (Artikel 3 der japanischen Verfassung).

Nichtdestotrotz lieben die Briten ihr Königshaus und die Japaner ihr Kaiserhaus. Sie haben jeweils ihren ganz eigenen Kult um sie geschaffen. So wie es die Royals in jedem Londoner Souvenir-Shop als solarbetriebene Wackelfiguren und als Postkarten zu kaufen gibt, ist die Kaiserfamilie der japanische Nationalstolz, wenn auch auf eine stillere Art und Weise: „Der japanische Kaiser ist für uns ein Symbol der Wertschätzung und die Kaiserfamilie genießt ein hohes Ansehen, vor allem bei öffentlichen, sozialen Veranstaltungen“, erklärte Hiro.

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